Bei vielen Kindern mit FASD treten weitere komorbide Störungen und Differentialdiagnosen [Glossar] auf. Hierbei möchte ich aus persönlichen Gründen die Bindungsstörung hervorheben, welche Folge einer Vernachlässigung oder anderweitigen Traumatisierung in der frühen Kindheit ist. Dies ist bei einer Vielzahl von Kindern mit FASD bekannt oder zumindest anzunehmen.

Eine positive Bindung an eine feste Bezugsperson ist Grundlage für das gesamte weitere Leben. Kinder entwickeln dadurch Vertrauen in sich selbst, Sicherheit, den Mut, Neues zu entdecken und sich weiterzuentwickeln. Sie erlangen die Fähigkeit mit schwierigen Situationen umzugehen, wie z.B. mit Stress oder dem Kennenlernen ihrer eigenen Emotionen. Kindern mit Bindungsstörung fällt diese Entwicklung schwer, Kindern mit FASD und Bindungsstörung fällt dies noch viel schwerer.

Eine Bindungsstörung hat nicht nur auf das Verhalten starke Auswirkungen, sondern auch auf die Körperfunktionen. So läßt sich bspw. eine dauerhaft erhöhte Herzfrequenz feststellen, einhergehend mit einer erhöhten Ausschüttung von Stresshormonen. Die Stresshormone blockieren den Umgang mit den Emotionen und beeinflussen das Lernen negativ. So weisen viele Pflegekinder erhebliche Schwierigkeiten in der Schule auf bis hin zu Entwicklungsverzögerungen.

Eine sichere, emotionale Bindung ist für alle Menschen essentiell und gleichzusetzen mit der Notwendigkeit von Essen oder Atmen. Bindung entsteht durch konstante, feinfühlige und aufmerksame Bezugspersonen und steht nicht mit einem Verwandtschaftsgrad in Beziehung, d.h. ein Kind kann zu seinen Pflegeeltern durchaus eine sichere Beziehung aufbauen. Allerdings weisen viele Kinder, bevor sie zu ihren Pflegeeltern kommen, bereits tiefgreifende, negative Bindungserfahrungen und Beziehungsabbrüche auf. Die leiblichen Eltern haben häufig nicht angemessen, nicht schnell genug oder gar nicht, auf die Bedürfnisse ihrer Kinder reagiert. Gegebenenfalls waren ihre Reaktionen für die Kinder völlig unberechenbar und schwankten (z.B. durch den Einfluss von Alkohol, Drogen, psychischen Erkrankungen) zwischen einfühlsam, desinteressiert oder aggressiv. Die Kinder entwickeln eine desorganisierte Bindung und können das Gefühl von grundlegender Sicherheit nicht erleben. Zudem kommt, dass Pflegekinder häufig selbst im Pflegesystem wechseln, da sie zunächst zu Bereitschaftspflegeeltern kommen und erst danach zu einer Dauerpflegefamilie. Dies beinhaltet weitere Beziehungsabbrüche.

Beispiel: Tylar war nach seiner Geburt zunächst wegen seines Alkohol- und Drogenentzugs einige Wochen auf der Intensivstation. Er hat dann gemeinsam mit seiner Mutter in einer Mutter-Kind-Einrichtung gelebt. Auf Grund des weiteren Alkoholkonsums der Mutter wurde diese Maßnahme beendet und Tylar kam zu einer Bereitschaftspflegefamilie. Der Grundgedanke hierbei besteht in einer kurzfristigen Aufnahme eines Kindes, um das weitere Vorgehen abzuklären. Tylar lebte dort 1 1/2 Jahre und erlebte alleine durch die Länge seines Aufenthaltes einen erneuten Beziehungsabbruch als er zu uns kam. Damals war er gerade zwei, inzwischen lebt er seit fast 7 Jahren bei uns und hat neben der Diagnose FASD u.a. die Diagnose Bindungsstörung.

Eine Bindungsstörung kann sich in zwei verschiedenen Formen manifestieren: einer gehemmten/reaktiven oder einer enthemmten Ausprägung.

Bei der gehemmten Form treten ambivalente soziale Reaktionen, ein Verlust emotionaler Ansprechbarkeit oder ängstliche Überempfindlichkeit auf. Die Kinder sind schüchtern und suchen in Krisen nur selten den Kontakt zu Bezugspersonen.

Beispiel: Unser zweiter Pflegesohn erhielt die Diagnose reaktive Bindungsstörung. Ambivalente Reaktionen sind bei ihm im Sozialkontakt durchaus erkennbar. Oft möchte er eigentlich unsere Nähe, lehnt diese dann aber umso vehementer ab.

Die enthemmte Form ist durch Distanzlosigkeit und einer Wahllosigkeit sozialer Bindungen mit allgemeiner Anklammerung oder unterschiedslos freundlicher Kontaktgestaltung gekennzeichnet. Diese Kinder suchen bei Angst oder Schmerz Bezugspersonen, die jedoch beliebig austauschbar sind.

Beispiel: Tylar entspricht dem klassischen Bild einer Bindungsstörung in enthemmter Form. Seine Bezugspersonen sind beliebig austauschbar und er sucht Nähe bei Fremden. Seine Kontaktaufnahme anderen gegenüber ist von Freundlichkeit gekennzeichnet, nur seinen Pflegeeltern gegenüber besteht eine verbale Aggressivität. Erhält er ein neues Kleidungsstück hat er dieses laut eigener Aussage genauso lieb wie uns.

Unabhängig von dieser Unterscheidung treten verschiedene, auffällige Verhaltensweisen auf. Manche Kinder begeben sich absichtlich in gefährliche Situationen, um die Aufmerksamkeit der Betreuungsperson zu erlangen, andere können Nähe nicht ertragen oder reagieren auf positives, ihnen entgegengebrachtes Verhalten mit Ablehnung oder Aggressionen. Kurzzeitige Trennungen von den Pflegeeltern können teilweise bis ins Schulalter hinein schwierig sein.

Gerade Jugendliche mit Bindungsstörung können als Ersatz für eine Bezugsperson eine Sucht entwickeln.

Bindungsstörungen sind sehr belastend für den Alltag. Hinzu kommt, dass eingeübte Verhaltensmuster nicht einfach zu verändern sind. Doch können auch negative Bindungserfahrungen durch neue, positive „überschrieben“ werden, dies erfordert enorm viel Zeit und Kraft. Hierbei können bindungsfördernde Maßnahme hilfreich sein, wie z.B. Exklusivzeiten, gemeinsames Durchführen bestimmter Aktivitäten, die in einen strukturierten Alltag integriert sind. Ein wesentlicher Bereich ist die Sprache, denn bindungsgestörte Kinder reagieren auf Kritik sehr empfindlich und nehmen sie persönlich, da sie ständig die komplette Beziehung in Frage stellen. Hinzu kommen äußere Einflüsse wie der Kontakt mit der Herkunftsfamilie, unerfahrene Bezugspersonen in der Kita oder in der Schule oder auch das eigene soziale Umfeld, welches mit Unverständnis reagiert (https://neonzwerge.de/bindungsstoerungen-bei-pflegekindern/).

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